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Zehn unbekümmerte Anarchistinnen

Belletristik

Daniel de Roulet

Zehn unbekümmerte Anarchistinnen

Aus dem Französischen von Maria Hoffmann Dartevelle

Auf der Basis historischer Dokumente und mit Hilfe seiner Imagination erzählt Daniel de Roulet das Schicksal von zehn Frauen, die in einer Zeit, die ihnen nichts zu bieten gewillt war, die Freiheit suchten.

Verlagstexte

Wie zehn Uhrmacherinnen die Anarchie fanden und in Südamerika die Freiheit suchten.
1872 weilt Bakunin in der Uhrenstadt Saint-Imier im Schweizer Jura, wo die Antiautoritäre Internationale gegründet wird. Zehn Frauen werden von den Freiheitsideen angesteckt und beschliessen, nach Südamerika auszuwandern, um dort ein herrschaftsfreies Leben auszuprobieren. Als Kriegskasse beschafft sich jede eine Longines 20A. Zwar beginnt es schlecht, von den beiden vorangegangen Frauen, dem Liebespaar Colette und Juliette, trifft bald die Nachricht ihres gewaltsamen Todes ein. Trotzdem machen sich die andern acht auf den Weg. Mit einem Schiff, auf dem auch Verbannte der Pariser Kommune eingesperrt sind und auf dem Émilie bei einer Geburt stirbt, gelangen die übriggebliebenen sieben nach Punta Arenas in Patagonien, wo sie gemeinsam eine Bäckerei und eine Uhrmacherwerkstatt aufbauen. Sie trotzen machistischen Kolonialbeamten und verfolgen in Freiheit ihr Liebesleben, jede nach ihrem Geschmack.

Titel der Originalausgabe: Quelques femmes insouciantes.

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© Cover: Verlag, Foto(s): Yvonne Boehler

Presse- und Autorenstimmen

Er ist zweifellos einer der herausragendsten Schweizer Schriftsteller.

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Revue des Belles Lettres

)

Ein kleines Mutbuch, das einem beim Lesen durch lebhafte Debatten darin reifender Anarchiegedanken vor Augen führt, dass es schon  reichen kann, Momente der Freiheit zu erobern, für die sich der ganze Rest dann lohnt.

(

Anke Wittkopp, Stadtkind

)

Video

Textprobe(n)

Manche von uns wohnten auf den sonnenbeschienenen Höfen des Sonnenbergs, andere, wie die Schwestern Grimm, kamen von der dunklen Seite des Obertals. Die meisten lebten in den Dörfern entlang des Weges nach Courtelary, wohin man muss, wenn man es mit der Obrigkeit, sprich, mit ihrem Gefängnis aufnehmen will. In jedem dieser mehr oder weniger kesselförmigen Juradörfer wurden Sägewerke, Mühlen, Stößel vom Wasser der Suze angetrieben. Wir wohnten in großen Häusern mit sanft geneigtem Walmdach, auf der einen Seite die Familie, auf der anderen zwei Kühe, auf der Rückseite die Tennbrücke.

Trotz seines ländlichen Aussehens widmete sich unser über achthundert Meter hoch gelegenes Dorf der Uhrmacherei. Im Winter waren die Familien auf den einsamen Höfen der Sonnen- und der Schattenseite mehrere Wochen lang eingeschneit. Die Tiere spendeten Wärme, es gab genügend Holz, um die Suppe zu kochen und den Raum mit der Werkbank zu heizen, wo die Rohwerke der Uhren den kundigen Händen unserer Mütter oder den fein arbeitenden Fingern unserer großen Schwestern anvertraut waren. Im Herbst hatten sie einige hundert winzige Teilchen bekommen, die sie unter dem Okular mit der Pinzette fassten. Im Frühjahr, wenn die Arbeit beendet war, würden sie sie zu den Fertigstellern bringen, die die Rädchen, Ritzel, Gehäuse und Zifferblätter zusammensetzen würden, die über hundertzwanzig Teile, die nötig sind zur Herstellung jener Uhren, die sie anschließend in ganz Europa verkaufen würden.

Zum Zeitpunkt der Ereignisse von 1851 war Mathilde noch nicht geboren. Als 1867 ihr Vater starb, war sie 11 Jahre alt. Da ihre Mutter die Trauer um ihren Mann nicht überlebte, nahm eine Krankenschwester aus Saint-Imier, einer ehemaligen Assistentin ihres Vaters, Mathilde, die nun Waise war, bei sich auf. Mathilde, jüngstes Kind der Familie, war auch die Jüngste der zehn künftigen Auswanderinnen. Einige von ihnen kannten sich schon aus der Mädchenschule. Manche hatten alle Schuljahre absolviert, andere nur einen Teil und waren mit vierzehn in die Lehre gegangen. Die, die an entlegenen Orten wohnten, mussten in die Nähe des Dorfes ziehen, kamen dort bei Verwandten unter oder ins Internat.

Im Uhrmacherhandwerk lösen Höhen und Tiefen einander ab, oft muss man die Zähne zusammenbeißen und auf den nächsten Aufschwung warten. Eine Revolution in Deutschland, ein zweiter Kaiser in Frankreich, eine Sezession in den Vereinigten Staaten, ein Streit in Konstantinopel, und unsere Väter standen ohne Arbeit da. Sogar ein alter Krieg zwischen Katholiken und Protestanten bei uns in der Schweiz hatte einmal alle Uhrenhandwerker arbeitslos gemacht. Nach den Ereignissen von 1851 belebte sich die Konjunktur wieder. Die Väter konnten erneut ihre Berufe mit den klangvollen Namen ausüben: Guillocheur, Gehäusefedermacher, Graveur oder Zifferblattbemaler. So konnten unsere Mütter auf dem Herbstmarkt der benachbarten Stadt La Chaux-de-Fonds einkaufen gehen. Es gab jetzt genug Milch, die Kinder gingen abends nicht mehr mit leerem Magen ins Bett. Vater Grimm sagte zu seinen Töchtern, es werde nie mehr eine Mehltauepidemie oder eine Hungersnot geben.

Pfarrer Agassiz hatte seinem ältesten Sohn einen Vorschuss gewährt. So konnte dieser sich mit dreiundzwanzig Jahren am Platz neben der Stiftskirche ein Uhrmacher-Comptoir einrichten. L’Auguste, wie er hieß, kümmerte sich um die Endmontage der Uhren und verkaufte sie bis nach Portugal und Russland. Im Dorf müssen die Pfarrerskinder immer mit gutem Beispiel vorangehen, besonders der Älteste. Augustes gutes Beispiel bestand darin, reich zu werden. Bei der Geburt unserer Großeltern zählte Saint-Imier vierhundert Einwohner. Inzwischen waren wir sechstausend und würden bald achttausend sein.

Unsere Väter arbeiteten sechs Tage die Woche und kamen abends spät nach Hause, außer samstags, da kamen sie um sechs. Die Familien waren kinderreich, in vielen gab es bis zu zehn Geschwister. Der Pfarrer stellte fest, dass der liebe Gott im Durchschnitt eines von fünf Kindern im ersten Lebensjahr zu sich holte. Die Bestattung war eine kurze Sache. Das nächste Kind bekam den Namen dessen, das nicht überlebt hatte. Von nun an war alles auf Fortschritt ausgerichtet. Eines Tages würde es keine Armen und keine Kriege mehr geben. Das glaubten jedenfalls unsere Eltern. Valentine, unsere Berichterstatterin, konnte sich nicht vorstellen, wie ein Säugling wie ihr kleiner Bruder wieder auferstehen sollte.

In unseren Mädchenklassen lernten wir Nähen, Hauswirtschaft, die Prinzipien der Milchsäuregärung, nicht aber die Geographie fremder Länder noch Schießen oder Tischlerei. Das wurde nur in den Knabenklassen unterrichtet. Unter Mädchen, später unter Frauen, gewöhnten wir uns an, zusammenzuhalten, ohne allzu viel Konkurrenz.

Selbst wenn jede von uns ihren eigenen Dingen nachging, verloren wir uns nicht aus den Augen. Einige waren gerade vom Pfarrer konfirmiert worden, andere hatten schon einen festen Freund, zum Beispiel Blandine Grimm. Die einen malten sich die Lippen an und puderten sich die Wangen, die anderen fanden, man dürfe nicht provozieren.

Was Blandine betraf und da es bei den Grimms nur Mädchen gab, meinte der Vater, die Älteste müsse für ihre Schwestern ein Beispiel sein, sonst würden die Jüngeren, wie er sagte, zu schamlosen Ludern. Blandine machte nur Unsinn, wozu Valentine aber nichts konnte. Blandine war Zusammensetzerin, Valentine machte gerade eine Lehre als Verstifterin-Zentriererin. Die Große hantierte mit Robustem, die Kleine brauchte Fingerspitzengefühl, um auf der Achse des Pendels, wo die Spirale mit einem Sperrstift befestigt wird, einen gespaltenen Zylinder zu justieren. Nicht so einfach, gleich nach einer Schwester wie Blandine zu kommen. Freundinnen sucht man sich aus, Schwestern nicht.

Auf dem Schiff nach Amerika werden wir später einen englischen Satz lernen, der in dem Lied Zehn kleine Negerlein vorkommt. Am Anfang sind sie vollzählig, dann stirbt oder verschwindet in jedem Refrain eine.

Zehn unbekümmerte Anarchistinnen
Roman / Novelle
ALS BUCH:
Hardcover mit Schutzumschlag
180 Seiten
Format: k. A.
Auslieferung: 1. September 2017
D: 24,00 Euro A: k. A. CH: 28,00 CHF

ISBN (Print) 978-385791-839-1

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