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Die gestohlene Erinnerung

Belletristik

Ulrike Schmitzer

Die gestohlene Erinnerung

„Im Pass meiner Mutter steht unter Geburtsort ein Ort, den es nicht mehr gibt. Filipowo. Im Pass meines Vaters steht ein Ort, den es nicht mehr gibt. Sentiwan. Er lag ganz in der Nähe des Geburtsortes meiner Mutter. In einem Land, das es nicht mehr gibt. Ich erzähle Dir von einem Land, das es nur in Erzählungen gibt.“ Früher waren sie Donauschwaben – Deutsche, die in einem Ort im heutigen Nordserbien lebten. Dann kam der Zweite Weltkrieg, sie wurden deportiert und vertrieben, jahrelang waren ganze Familien auseinandergerissen, bis sie endlich wieder zueinanderfanden. In Salzburg. 60 Jahre später will die Enkelin mehr von der alten Heimat und vom Krieg erfahren. Mit Großmutter und Mutter begibt sie sich auf einen aufregenden Roadtrip ...

Verlagstexte

Eine Frau und ihre Mutter brechen in die ehemaligen Siedlungsgebiete der Donauschwaben nach Nordserbien auf, um die Wurzeln ihrer Familie zu suchen. Am Telefon mit dabei: die alte Großmutter. Vor der Abreise hat sie ihrer Enkelin vom Alltag in ihrer Heimat, vom 2. Weltkrieg und der Deportation in ein sowjetisches Arbeitslager erzählt. Im Auto hören sie sich diese Aufnahme an. Nach anfänglichem Widerstand beginnt auch die Mutter über den Krieg und die Flucht zu sprechen. Ihre Tochter reiht Stück für Stück aneinander und findet allmählich eine Spur in die Vergangenheit.

Ulrike Schmitzer erzählt die mitreißende Geschichte einer vertriebenen Familie, die stellvertretend für ein ganzes Volk steht.

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© Cover: Verlag, Foto(s): Jorghi Poll

Presse- und Autorenstimmen

Diese Sympathie, die Schmitzer ihren getriebenen, in Zufälle gestellten Existenzen entgegenbringt, macht ihre Bücher so spannend zu lesen.

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(Bernd Schuchter, Vorarlberger Nachrichten)

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Textprobe(n)

Im Pass meiner Mutter steht unter Geburtsort ein Ort, den es nicht mehr gibt. Filipowo. Im Pass meines Vaters steht ein Ort, den es nicht mehr gibt. Sentiwan. Er lag ganz in der Nähe des Geburtsortes meiner Mutter. In einem Land, das es nicht mehr gibt. Ich erzähle Dir von einem Land, das es nur in Erzählungen gibt. Ich bin ein Kind von Einwanderern. Ich bin nicht von hier und auch nicht von dort. "Sag das noch mal, du betonst das so komisch!" Ich kann nichts Komisches hören. "Na, siehst du, das meine ich." Ich habe schon immer das Gefühl, nicht lange hierzubleiben. "Du lebst wie auf der Durchreise", sagte mein Vater immer. Immer etwas in Kartons in der Wohnung, nie alles ausgepackt. Den Pass immer dabei. Für mich war es als Kind ganz selbstverständlich, dass man vertrieben wird. So wie andere die Geschichte von der ersten Begegnung der Eltern hören, hörte ich immer und immer wieder die Geschichte der Vertreibung. Die Wiege meiner Mutter hinter dem Schuppen. Der schöne Wohnzimmerteppich, nur noch ein erbärmlicher Fetzen. Jedes Wegfahren eine Tragödie. Jede Urlaubsfahrt ein enormer Stress. Um drei Uhr in der Früh läutete der Wecker. Mir war schon schlecht, bevor ich überhaupt eine Hose anhatte. Wir fuhren normalerweise nach Kroatien auf Urlaub. Andere fuhren nach Italien und brachten tolles Plastikspielzeug und ein T-Shirt mit Aufdruck mit, aber wir fuhren immer nach Kroatien. Diesmal nicht. Diesmal fuhren wir nach Serbien. Es war stockfinster und eiskalt. In Gastein bei der Zugschleuse konnte man den Atem in der Luft sehen. Da war es noch immer finster. Wir sind zu spät weggefahren, sagte mein Vater. Denn wir standen bei der Schleuse im Stau. Wie jedes Jahr. Wir machten nur eine einzige Pause, weil mein Vater möglichst schnell im Urlaub sein wollte. Bei einer dieser Pausen – auf einer Landstraße im Nirgendwo – blieben wir stehen. Endlich, nachdem wir meinem Vater ungefähr dreißig geeignete Bäume, um darunter im Schatten zu sitzen, vorgeschlagen hatten. Das müsst ihr vorher sagen, meinte er zornig. Jetzt ist es zu spät. Wir sahen die Bäume logischerweise aber erst dann, wenn wir an ihnen vorbeifuhren, denn wir saßen auf dem Rücksitz. Ich war die einzige, die nach vorne sah, aber ich durfte nicht aus dem Fenster sehen. Sonst wird dir wieder schlecht, sagte meine Mutter. Konzentrier dich auf etwas im Auto. Ich konzentrierte mich darauf, wie mein dritter Bruder in der Nase bohrte. Davon wurde mir erst richtig schlecht. Als mein Vater nun endlich Gefallen an einem Baum fand, bog er an den Straßenrand, fuhr ein Stück nach vorne und dann ein Stück zurück, bis es krachte. Meine Mutter schrie kurz auf, mein Vater schrie meine Mutter an, dass sie ihn ganz verrückt mache mit ihrer Hektik und dass da kein Mensch mehr Autofahren könne. Alle stürmten aus dem Auto. Mein Vater hatte einen Pfosten gerammt. Weit und breit war nichts, außer diesem Pfosten zur Begrenzung der Straße. Im Auto war aber keine Delle. Der Pfosten war aus Plastik und nicht aus Holz wie bei uns, und er war beweglich. Er lehnte nur quer am Auto. Serbien war toll. Meine Mutter packte die Decke und die Kühltasche und bereitete das erste Picknick auf serbischem Boden vor. Erst Serbien, dann Plattensee. Erst Besichtigung, dann Baden. So war der Plan. Ich kann mich nur noch an Plattensee erinnern. Die Reise Es gab so viele Namen, Ortsnamen, Filipowo, Sentiwan, Apatin, Hodschag, ... die Orte waren mir in Fleisch und Blut übergegangen, obwohl ich nie dort war. Es war vielmehr so, dass ich diese Namen gar nicht als reale Dörfer oder Städte begriff. Immer war die Rede von Gakowo, von Apatin, Sombor, ich kam erst sehr viel später dahinter, dass diese Orte existierten. Es gab sie wirklich. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es Orte wie Krimml oder Golling waren. Das waren doch nur Geschichten. Genauso ging es mir mit anderen Worten. Das ist ein Raaz. Was das heißt? Das war für mich ungefähr so wie wenn man jemanden fragt, was heißt das, das ist ein Auto? Natürlich wusste ich was ein Raaz war. Ein Dings eben. Später erst kam ich dahinter, dass raazisch für serbisch stand und das Wort sich von der Stadt Razby in Alt-Serbien ableitete. Knottr hieß meckern, Mottr war die Mutter, sonntags ging man in die Kherch oder zur Kherchweh, und auch der Pracka war mir bestens bekannt: der Teppichklopfer. "Na warte, jetzt hol ich den Pracka!", war eine beliebte Erziehungsmaßnahme meiner zweiten Oma. Geholt hat sie ihn vielleicht wirklich, wer aber halbwegs intelligent war, war dann schon weg und der Pracka hatte seine Dienste somit getan. Es gab auch lustige Worte wie "doodimool" – was das heißt: mal raten? Das heißt: kürzlich. Also jetzt ein Test: "Doodimol ist die Mottr in der Kherch gwest zum Knottrn." Als ich anfing erwachsen zu werden, also Mitte dreißig war, beschloss ich mal runter zufahren. Runter, wo die alle her waren. Als Kind war ich mal in Serbien gewesen, im Haus, wo sie gelebt haben, aber ich hab alles vergessen. Vergessen war in unserer Familie nichts Ungewöhnliches. Ich vergaß zu sagen, wenn ich ein Problem hatte oder wenn ich eine besonders gute Note bekam. Ich vergaß es nicht, weil ich es nicht sagen wollte, ich vergaß es wirklich. Kaum war etwas in meinem Kopf drinnen, war es auch schon wieder draußen. In meinem Kopf war also genug Platz für die Erinnerungen der anderen. Ich beschloss, eine Reise zu machen. Nicht in meine eigene Kindheit, sondern in die Vergangenheit der anderen. Nach Serbien. In die Vojvodina. "Ich komme mit!", schrie meine Mutter hellauf begeistert. "Ich auch!", schrie meine Oma hellauf begeistert. Nur, davon war ich weniger begeistert, und meine Mutter auch. "Ich muss mit", sagte meine Mutter aufopfernd. "Das findest du sonst nie!" Das war ein Argument. Wie sollte ich einen Ort finden, den es nicht mehr gab? "Du wirst doch wissen, wie Filipowo jetzt heißt", sagte meine Mutter vorwurfsvoll. "Ja, sicher", sagte ich. "Prigrevica!" "Nein, das ist doch Papas Heimatort!", schrie sie entrüstet. "Irgendwas mit Batschka. Ich komm gleich drauf ... Batschkagratsch!!" "Backi Gracac!", rief sie. "Das findest du nie!" Meine Oma war schon sechsundachtzig Jahre alt und damit zu alt. Sie konnte noch ganz gut gehen, aber eine lange Autofahrt wäre zu viel für sie gewesen. "Ihr müsst alles fotografieren und mich jeden Tag anrufen, sonst ...", sagte meine Großmutter. Meine Mutter sah mich fragend an. "Machen wir", versprach sie hoch und heilig. Wir bekamen noch ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet und die genaue Adresse auf einen kleinen Zettel notiert. Sie gab meiner Mutter noch einen Crashkurs in Erinnerung: Sie ging mit ihr im Kopf die Straßen durch, zeigte ihr, wo die Kirche stand und wo man in die Gasse abbiegen musste, wo das Haus stand. Meine Oma war nicht wie andere. Sie war der Boss. Alle taten immer, was sie wollte. Immer schon. Ich zeige sie Dir so, wie ich sie gesehen habe.

Die gestohlene Erinnerung
Roman / Novelle
ALS BUCH:
Hardcover mit Schutzumschlag

Lesebändchen

192 Seiten
Format 125 x 205 mm
Auslieferung ab 1. April 2015
D: 19,95 Euro A: 19,95 Euro CH: 28,50 CHF

ISBN (Print) 978-3-903005-03-7

ALS EBOOK:
Datenformat(e): epub
Auslieferung ab 1. April 2015
D: 12,99 Euro A: 12,99 Euro CH: 16,00 CHF
ISBN (eBook) 978-3-903005-67-9

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