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Geraubte Liebe

Belletristik

Dacia Maraini

Geraubte Liebe

Deutsche Erstausgabe, aus dem Italienischen von Gudrun Jäger

"Frauen und Männer werden gleich geboren, erst unsere Kultur macht sie ungleich." Dacia Maraini

Andere Titel des Verlags bzw. der Autorin/des Autors

Verlagstexte

Eine Mutter, die erlebt, wie ihr Mann die gemeinsame, lang ersehnte kleine Tochter zur Schönheitskönigin hochstilisiert. Eine junge Frau, deren nette Bekanntschaft aus dem Fitness-Studio sich zum rasenden Stalker entwickelt. Eine Journalistin, die auf Dienstreise von einem hilfsbereiten Herrn mitgenommen und missbraucht wird. Acht Geschichten von Frauen, deren Liebe oder Vertrauen in Männer enttäuscht wird und die doch nicht auf Hilfe hoffen dürfen, selbst wenn ihr Leben auf dem Spiel steht.

Wie bereits in ihrem gefeierten Roman "Stimmen" beschreibt Dacia Maraini einfühlsam und mit großem Respekt vor dem individuellen Schicksal wie die gesellschaftlichen Strukturen das Verhalten der Männer begünstigen und Frauen wenig Raum für selbstbewusstes Handeln lassen.

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© Cover: Verlag, Foto(s): G. M. Ireneo Alessi

Presse- und Autorenstimmen

Die gewaltsamen Vorfälle, an die sich die acht Erzählungen von „L’amore rubato“ anlehnen, stammen aus den Schlagzeilen der Tagespresse. Maraini nähert sich ihnen mit großer Behutsamkeit, mit der gebotenen Zurückhaltung derjenigen, die sich angesichts des Leidens anderer immer auch als Eindringling empfinden mag. Ihre schmucklose, rhythmische Prosa benennt Vorgänge, Tatsachen, Details aus dem Alltagsleben, mit ihrer Phantasie dringt sie in Bereiche vor, die von den Zeitungsberichten unberührt bleiben. Zum Vorschein kommen Befindlichkeiten, psychologische Nuancen, Dialogfetzen, all das, was sich vor oder hinter der vermeintlichen Objektivität von Zeitungsberichten und ihren Schlagzeilen verbirgt. Was von der Autorin – gleichsam als alle Erzählungen verbindende Gemeinsamkeit – literarisch untersucht wird, ist die zögerliche Haltung der Opfer gegenüber ihren männlichen Peinigern, ihre Scheu, Anzeige zu erstatten, und ihre Unfähigkeit, sich vor deren obsessiven, krankhaften und gewalttätigen Formen der Liebe zu schützen ... Marainis Erzählstil ist bewusst einfach gehalten, die Sprache ist schnörkellos, scheinbar literarisch unambitioniert. Ihr stilistisches Verantwortungsbewusstsein angesichts einer leidvollen Realität verbietet der Autorin jede ästhetische Eitelkeit ... Indem sie die gewaltvollen Geschichten der Vergänglichkeit der Klatschspalten entreißt und quasi fotografisch festhält, erhebt sie sie zu einem paradigmatischen, universellen Thema. Was die Berichterstattung auslässt und in ihrer Sensationsgier nur zu oft verharmlost, gewinnt in Marainis Erzählungen an Aussagekraft und Dichte ... Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, erkennt Marainis großes Mitgefühl mit all denen, die erniedrigt werden und Missbrauch und Gewalt ausgesetzt sind.

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Paolo di Paolo, L’Unità, edizione nazionale

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Zwischen Ihrem Roman „Stimmen“ und „Geraubte Liebe“ liegen knapp zwanzig Jahre. Glauben Sie, dass sich die Situation der Frau in diesem Zeitraum verschlechtert hat?
Ja, leider. Allerdings sehe ich die Ursachen dafür nicht in einem „Kampf der Geschlechter“, die Gründe liegen vielmehr in gesellschaftlichen und kulturellen Gegensätzen. Auf der einen Seite stehen die Männer, die historisch – und wohlgemerkt nicht biologisch – ihre Macht und Privilegien erhalten möchten, auf der anderen ist die Welt der Frauen, die sich in starkem Umbruch befindet.
Die Zahlen über den sogenannten "feminicidio" sind in Italien besorgniserregend. Sie reisen viel und kommen in der Welt herum, ist Italien ein Sonderfall?
Nein, es ist überall so. Das Phänomen betrifft die ganze Welt, auch die weiter fortgeschrittenen, demokratischen Gesellschaften, wo Frauen emanzipierter sind und wie die Männer einem Beruf nachgehen. In vielen Fällen sind sie gerade deshalb Opfer von Gewalt. Viele Männer sehen die Freiheiten der Frauen als Angriff auf ihre Männlichkeit.

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Dacia Maraini im Interview, Corriere di Como

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Was fehlt, ist die gesellschaftliche Reflexion über Gewalt. Ich fühle mich verpflichtet, das Thema systematisch anzugehen, damit man wieder darüber spricht. Die Fakten werden in den Klatschspalten auf geradezu krankhafte Weise aufbereitet, man gräbt in den Lebensgeschichten der Menschen, aber es wird nie richtig über die Gewalt an sich nachgedacht, und über ihre Bedeutung für eine Gesellschaft und ihre Kultur ... Gewalt gegen Frauen geht inzwischen von wohlhabenden und gebildeten Männern aus. Sie hat sich vom bäuerlichen und ländlichen Milieu verlagert, ist städtischer, neurotischer geworden. Oft ist sie mit Alkohol und Drogen verbunden, auch darüber spricht die Öffentlichkeit nicht. Niemand thematisiert den immensen verborgenen Drogenkonsum. Dabei meine ich nicht die alkoholkranken Obdachlosen, die man auf den Straßen sieht, sondern die diejenigen, die ganz normal ins Büro gehen ...

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Dacia Maraini im Interview, Giornale di Brescia

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Video

Textprobe(n)

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Mit neun Jahren bewegte sich Venezia, die mit Nachnamen eigentlich Persiceto hieß, für die der Vater jedoch den Künstlernamen Regina Vento, Windkönigin, erfunden hatte, auf dem Laufsteg wie ein Profimodel. Sie wusste genau, wie sie ihre Schritte setzen musste, immer genau einen Fuß vor den anderen, damit sie auf dem glatten Laufsteg nicht ausrutschte, den Blick nie nach unten gerichtet, den Mund leicht geöffnet und zu einem geheimnisvollen und verführerischen Lächeln verzogen.

Sie hatte gelernt, sich selbstständig zu schminken, zuerst die Feuchtigkeitscreme aufzutragen und darauf den funkelnden Puder zu verteilen, der ihrem Gesicht einen Goldschimmer verlieh, als wäre es von einem geheimnisvollen Hauch berührt worden. Sie besaß dreißig unterschiedliche Lippenstifte in allen erdenklichen Farbabstufungen: Fuchsie, Karminrot, Konfektrosa, Abendrot. Es gefiel ihr, vor dem mit den vielen Lämpchen umrahmten Spiegel, dem Geschenk ihres Vaters, zu sitzen und mitzuverfolgen, wie vor ihren Augen Pinselstrich für Pinselstrich allmählich ihr erwachsenes Double entstand: Ein Mädchen, das Unschuld und Laszivität, unerreichbare Schönheit und verführerisches Augenzwinkern, welches Letizia als "unanständig" brandmarkte, raffiniert zu mischen verstand.

Doch Venezia scherte sich nicht um das, was ihre Mutter sagte. Wie es ihr der Vater beigebracht hatte, sah sie in ihr eine lästige Pedantin, die es "selbstverständlich gut mit ihr meinte", aber kein Verständnis für die Jugend hatte und "in Herz und Seele" rückständig geblieben war: die man zwar als Mutter respektieren, aber auf die man nicht hören musste.

Venezia war so offensichtlich in sich selbst verliebt und hatte die Pläne des Vaters derart stark verinnerlicht, dass sie zwischen natürlich und künstlich nicht mehr zu unterscheiden vermochte. "Du musst zugleich ein Höchstmaß an Verlockung und an Distanz zum Ausdruck bringen", ordnete Ottavio in einem Tonfall argloser Begeisterung an. "Eine Frau, die von allen begehrt wird, die aber keiner besitzen darf", fügte er hinzu, ohne sich im Klaren darüber zu sein, dass er fast wie ein Zuhälter sprach.

 

Bei der Herstellung der Regina Vento bedurfte es inzwischen kaum noch des ermunternden väterlichen Zutuns. Ottavio saß am Fenster auf einem Hocker und verfolgte aus der Entfernung die Zeremonie des Schminkens und des Ankleidens seiner Tochter. Wenn ihm etwas nicht gefiel, hob er die Hand und gab in der Art eines großen Managers seine Anweisungen.

Mittlerweile brachte die Tochter viel Geld ins Haus. Die Modeschauen waren kein Spaß mehr, sondern eine handfeste Arbeit. Das führte dazu, dass Venezia die Hausaufgaben und die Schule vernachlässigte und kaum noch mit Gleichaltrigen spielte. Sie war endlich das geworden, was der Vater immer aus ihr hatte machen wollen: eine Modekönigin, ein Model für Fotografen und Stofffabrikanten, die sie alle umschmeichelten, skrupellos umwarben und sich gegenseitig streitig machten.

Aber Ottavio hatte ständig ein Auge auf sie. Er ließ es nicht zu, dass ihr irgendjemand zu nahe kam.

"Die Kleine ist perfekt und absolut professionell", pries er sie an. Und was er sagte, stimmte auch. Sie kam zu Terminen nie zu spät, unterwarf sich endlos langweiligen Anprobe‐Sessions und fügte sich geduldig und anmutig den Prozeduren von Haarstylisten, Visagisten und Schneiderinnen. Ihre Pflicht als Diva erfüllte sie verlässlich und diszipliniert.

Mit dem Geld, das Venezia einbrachte, kaufte sich die Familie Persiceto am Stadtrand ein Haus, das einen kleinen Vorgarten hatte, eine Garage und eine Mansarde – ganz so, wie man es von den Vorstadtvillen in den amerikanischen Filmen kennt. Ottavio war sehr glücklich, dass er der Tochter zwei geräumige Zimmer überlassen konnte.

 

Nur Letizia war nicht zufrieden. Eines Abends, als sie im Fernsehen eine von Venezias Modenschauen verfolgte, wurde sie sogar regelrecht wütend. Sie wartete hinterher bis spät auf Vater und Tochter und trank dabei ein Glas Wasser nach dem anderen. Als die beiden die Wohnung betraten, legte sie los: "Ottavio, du machst aus ihr ein kleines Fernsehmonster, merkst du das denn nicht? Du hast das Kind kalt und gefühllos gemacht, ihr die Freude am Spielen und Lachen genommen. Sie kann überhaupt nicht mehr natürlich sein und sieht im Scheinwerferlicht aus wie ein Roboter. Was soll aus ihr bloß noch werden?"

Ottavio machte ein strenges Gesicht. "Allmählich glaube ich, dass du eifersüchtig bist", antwortete er. Und sie spürte, wie sie vor Schreck innerlich erstarrte.

Venezia verhielt sich diplomatischer. Sie umarmte die Mutter stürmisch und flüsterte ihr zärtliche Worte ins Ohr. Das Mädchen mochte keine Streitereien. Sie wollte ein harmonisches Zuhause und eine glückliche Familie, auch wenn dieses Glück nur äußerlich und gespielt war. Sie fühlte sich nicht wie ein beliebiges Kind, sondern als Königin eines Traumreiches, und wusste, dass es vor allem auf Pflichterfüllung ankam und nicht auf Zufriedenheit.

Eines Morgens im Sommer – trotz der plötzlichen Hitze war es ein schöner klarer Junitag – ging Venezia in den Garten, um, wie sie ihrer Mutter sagte, "ein paar Margeriten für ihren Haarschmuck" zu pflücken. Der Vater, der sich gerade im Badezimmer rasierte, rief ihr zu: "Aber beeil dich, Schatz, um zehn müssen wir in der Stadt sein und die Fotos abholen." Das Mädchen antwortete: "Ja, natürlich!", und ging hinaus.

Ottavio trällerte beim Rasieren eine Arie aus La Traviata: "Sempre libera degg’io, folleggiare di gioia in gioia ...!" Aus den Augenwinkeln beobachtete er einige Sperlinge, die sich auf einem Ast seines Kirschbaums an ihrem Nest zu schaffen machten. "Jetzt kann ich auch zwitschern, denn ich habe auch ein Nest gebaut und bringe meiner kleinen Königin im Schnabel ein Würmchen. Jetzt brauche ich nicht mehr neidisch auf dich zu sein.", murmelte er unwillkürlich, während er sich mit dem Rasierer über die Wange fuhr.

Letizia hatte gerade das Hemd ihres Mannes fertiggebügelt und suchte ihre Sachen zusammen, um in die Schule zu gehen. Auf dem Küchentisch stand noch das Geschirr von einem eiligen Frühstück: drei Tassen mit abgestandenem Kaffee, Milch und Zucker, ein Frühstücksteller mit ein paar kümmerlichen Resten Toast. Das Mädchen aß nämlich kein Brot, um nicht zuzunehmen. Die Aprikosenmarmelade, die Letizia extra für die Tochter eingekocht hatte, stand noch unberührt in ihrem Glasschälchen. An Venezias Platz lagen zwei Pillen, eine rosa, die andere gelb, die noch eingenommen werden mussten, bevor sie das Haus verließ. Die eine half gegen Magenprobleme, die andere gegen Kopfschmerzen.

 

Als Letizia dann mit dem Auto los wollte, suchte sie nach ihrer Tochter, um sich zu verabschieden, aber konnte sie nicht finden. "Ciao, Venezia!", rief sie. Doch sie erhielt keine Antwort. Also wandte sie sich an ihren Mann:
"Ist Venezia oben bei dir?"
"Nein, sie ist im Garten. Sie ist gerade rausgegangen."
"Da ist sie aber nicht, das Tor ist noch zu. Schau mal in ihrem Zimmer nach."

Geraubte Liebe
Erzählung(en)
ALS BUCH:
Hardcover
ca. 192 Seiten
Format: k. A.
Auslieferung ab 25. Februar 2015
D: 19,90 Euro A: 20,40 Euro

ISBN (Print) 978-3-942374-69-9

ALS EBOOK:
Datenformat(e): epub
Auslieferung ab 25. Februar 2015
D: 13,99 Euro
ISBN (eBook) 978-3-942374-70-5

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