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Morelli verschwindet

Belletristik

Peter Neitzke

Morelli verschwindet

„Du musst den Antiroman schreiben, ohne jede geschlossene Ordnung. Musst deine Leser zu Komplizen machen. Ihnen so etwas wie eine Fassade mit Türen und Fenstern geben, nicht mehr.“ „Und was machen deine Komplizen, wenn du sie zu wahren Komplizen gemacht hast?“ „Sie werden hinter der Fassade mit Türen und Fenstern eine Welt aus Ruinen entdecken. Und jubilieren.“ „Die Fassade ist die Konvention. Deine Ruinen sind nicht die Ruinen der Erzählform, das interessiert nur Theoretiker, sondern die Ruinen deiner Gegenwart.“

Andere Titel des Verlags bzw. der Autorin/des Autors

Verlagstexte

Sich aus dem Staub machen. Frantz Morelli stürzt seine Matratze aus dem Fenster, zusammen mit Bündeln alter Manuskripte: biographische Skizzen, Wutausbrüche, Verwünschungen. Ungeschrieben bleibt die Autobiographie, für die ihm ein gewisser Gregor Hellmann, ein Barpianist, dreitausend als Anzahlung bezahlt hat. Ungeschrieben, denn Morelli ist nicht mehr erreichbar. Hellmann klappert die Adressen ab, die ihm der betrügerische Ghostwriter in Form eines bis auf Einträge unter dem Buchstaben K ruinierten Telefonregisters hinterließ und hört sich Geschichten an, aus denen sich das Porträt eines Aufschneiders und Phantasten zusammensetzen ließe. Aber Morellis derzeitige Adresse? Fehlanzeige.

Peter Neitzkes zweiter Roman ist ein zeitdiagnostisch kluges, dringliches und poetisches Buch über das Verschwinden. Das Verschwinden von Menschen, Geschichten, Orten, Arbeit und Alternativen.

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© Cover: Verlag, Foto(s): Simon Habegger

Presse- und Autorenstimmen

... Neitzke erfüllt keine Erwartungen, belohnt dafür mit geistreichen Verwirrspielen, Charaden und Sprachspielen, epischen Fußnoten und Leuchtreflexen; man fühlt sich ans collagierende Erzählen Arno Schmidts erinnert, der kriminologische Unterton, der Hellmanns Suche nach Morelli unterfüttert, paraphrasiert und parodiert das Krimigenre.

(

Florian L. Arnold (https://faselloch.wordpress.com/2015/03/24/neitzke-verschwindet-und-bleibt/)

)

Textprobe(n)

Der Januar kam wie angekündigt. Eine Stunde nach Mitternacht. Seit Tagen schon treibt dünner Winternebel über den Fluss. Meine alten Freunde, die beiden Pappeln hinter der schwarz glänzenden Ziegelmauer, sind nur als Geister zu sehen. Gute Geister. Sie bewachen meinen stahlblauen Admiral. Um genau zu sein: das, was von der alten Pracht der Limousine übrig ist. Noch fährt der Schlitten. Der Schnee hat seinen Umriss weich gemacht, fast konturlos. Man müsste die schwere, nasse Masse mit bloßen Händen vom Wagendach schieben, von der Motorhaube, von der Windschutzscheibe, die kalte Zigarette zwischen die blauen Lippen gepresst, man müsste die Wagentür öffnen und sich in den durchgesessenen Sitz fallen lassen und die Tür zuschlagen, frierend zusammengekrümmt in dieser dünnen Jacke, den Motor starten, Gas geben und abhauen. Einfach abhauen. Ohne einen Blick zurück. Frantz Morelli, er heiße so, schleift meine Matratze über den Steinboden des Zimmers bis an eines der weit offen stehenden Fenster. Hievt sie auf die Brüstung. "Sie ist schwer", sagt er laut, so schwer, denkt er vielleicht, als hätte er einen Leichnam in sie eingenäht. Seinen (sagt er nicht). Er schiebt sie hinaus, langsam, ganz langsam, bis sie kippt und an den stummen Fenstern des Hauses fünf Stockwerke hinuntersaust und ins Wasser stürzt, sich aufrichtet, sich flachlegt und stromabwärts treibt, zusammen mit Ästen, die der letzte Sturm von den Bäumen riss, mit weiter südlich Entsorgtem: Plastikschrott, Spritzen, Rümpfe, Köpfe und andere Leichenteile, Baumstämme, zusammengebunden zu einem Floß mit zwei Masten, und zwischen ihnen ein vom Wind geschlagenes Transparent. Morelli löscht das Licht, holt ein Fernglas und versucht zu lesen, was da steht. Die Aussichten. "Die Aussichten sind was?", ruft er in die Nacht. "Steht da wirklich glänzend? Und was schreit der da unten auf dem Floß?" Unter dem Transparent entdeckt er einen Schatten auf einer Rednertribüne (oder der Ruine einer Rednertribüne), den linken Arm von sich gestreckt und gestikulierend wie vor einem virtuellen Publikum, das lange auf ihn gewartet hat. "Das", ruft der Schatten in ein Megaphon, (was?) "kann sich nicht erheben, ohne dass", der Wind zerreißt die Botschaft, weht sie ans andere Ufer, "in die Luft gesprengt wird." "Gesprengt!", brüllt der Schatten an die Wände der seit Jahren geschlossenen Fabrikgebäude und Lagerhallen, die den alten Fluss säumen. "Sprengt!", hallt es zurück. Wie das Echo auf die Durchsage eines nächtlichen Explosionskommandos. Weder Segel noch Ruder hat der Schatten auf seinem Floß. Morgen oder später wird es das offene Meer erreichen und in der aufgehenden Sonne unsichtbar werden. Die Matratze ist unter die eiserne Brücke getaucht. Morelli lässt Bündel ausgedruckter Texte hinterherfliegen, Anschläge, Ausschaltungen, Wutausbrüche, Verwünschungen. Papierwolken, die hochwirbeln und sich im Wind teilen. Weiße Nachtvögel über dem Fluss. Albinofledermäuse, die über den Parkplatz schießen, über die Dächer, über das Werkstattgebäude und den Hof, über die Müllcontainer, über den Admiral. "Morelli, wie viele Jahre hast du hier gelebt?" Ich schweige und zähle nach. Egal, auf jeden Fall Jahre zu viel. Wer hört den Wortführern auf der anderen Seite nicht mehr zu, wer entreißt ihnen die Mikrophone, wer stellt ihnen den Strom ab? Wer schüttet Treibstoff in die Watte, mit denen sie sich umgeben, zündet sie an, schlingt ihnen Dynamitstangen um den Kopf, solange sie es nicht, wie Pierrot, selber tun? Wer entzündet die Lunte? Wer sorgt dafür, dass sie verschwinden? Wer, wenn nicht ich. Ich schließe die Fenster, drehe dem Fluss den Ton ab. Guter Himmel, bewache meinen Schlaf!

Morelli verschwindet
Roman / Novelle
ALS BUCH:
Broschur
148 Seiten
Format: 150 x 230 mm
Auslieferung ab 13. April 2015
D: 16,90 Euro A: 17,90 Euro CH: 22,90 CHF

ISBN (Print) 978-3-941978-19-5

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