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Der Bergmann und der Kanarienvogel

Belletristik

Catherine Safonoff

Der Bergmann und der Kanarienvogel

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz.

Ausgezeichnet mit dem Schweizer Literaturpreis.

Kanarienvögel reagieren schnell auf Veränderungen der Luft, daher wurden sie von den Bergleuten als Frühwarnsystem in den Stollen mitgenommen. Mit Der Bergmann und der Kanarienvogel begibt sich Catherine Safonoff auch unter Tage, hinein in das Bergwerk des Lebens. Radikal autobiografisch notiert sie das tägliche Dasein, kreuzt es mit Rückblenden in eine bewegte Vergangenheit und ihrer Lektüre: Kafka, Handke, Woolf. Ausgezeichnet mit dem Schweizer Literaturpreis. "Dieser unendlich zarte Roman, innig, verstörend und von fragilem Humor, erzählt die Geschichte einer sich ankündigenden Aufheiterung." (Le Monde)

Verlagstexte

Kanarienvögel reagieren schnell auf Veränderungen der Luft, daher wurden sie von den Bergleuten als Frühwarnsystem in den Stollen mitgenommen. Gab es zu wenig Sauerstoff, hörten sie auf zu singen und fielen von der Stange.

Mit ihrem Buch Der Bergmann und der Kanarienvogel begibt sich Catherine Safonoff auch unter Tage, hinein in das Bergwerk des Lebens. Radikal autobiografisch notiert sie Begebenheiten, gekreuzt mit Rückblenden in die Vergangenheit, im Dialog mit Ihrer Lektüre. Der Handwerker im Haus, ein Sturz mit dem Fahrrad in der Stadt, der Besuch des Enkels, der sich weigert, das Schreiben zu lernen, werden hier zu Momenten der Wahrheit, zur »Stunde der wahren Empfindung«, wie es bei Peter Handke heißt.

Als roter Faden aber dient ihr eine Psychotherapie, die sie mit über siebzig Jahren antritt: Sie setzt sich aus, verliebt sich in den Therapeuten und erlebt noch andere Überraschungen, die sie, langjährige Freud-Leserin, nie für möglich gehalten hätte.

Mit großer Gelassenheit, mit Anflügen von Melancholie und vor allem mit einer großen Portion Selbstironie gibt Catherine Safonoff in diesem Miniaturenroman ihr Leben preis. Sie schreibt ohne Netz, sie schreibt, ohne zu fallen.

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© Foto(s): k. A.

Presse- und Autorenstimmen

Die nächstliegenden Stoffe seien nicht immer leicht zu bearbeiten, sagt die Autorin. Die Reaktionen der Umwelt auf ihre Werke seien denn auch bisweilen heftig gewesen, aber sie könne nur schreiben über etwas, das sie kenne. Sie tut das in «Le Mineur et le Canari» mit einer präzisen Ökonomie und grosser Gelassenheit, die verführen können. Das heisst auch: Noch während es danach aussieht, als sei es sich schreibend auf die Spur gekommen, gänzlich «unverstellt», ist das «Ich» dieses – mit dem neuen eidgenössischen Literaturpreis ausgezeichneten – Romans längst eine Figur des Lesers oder der Leserin. Die Hauptfigur eines wunderbaren, einnehmenden Romans, der gleichsam vierhändig geschrieben worden ist.

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Martin Zingg, Neue Zürcher Zeitung

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Indem das Buch von Catherine Safonoff die alltägliche Leichtigkeit mit der Last traumatisierender Erinnerungen kreuzt und mit einer lebhaften Grazie ständig von einer Sprachebene zur anderen wechselt, verfügt es über die Eleganz eines Schmetterlings, der sich in die Abgründe der menschlichen Seele wagt. Eine ältere und depressive Frau sucht bei einem Psychoanalytiker Trost und verliebt sich sogleich in ihn, es ist eine unmögliche und verzauberte Liebe. Die Phantasie ist greifbar, aber diese autobiographisch inspirierte Erzählung weist auch eine ausgeprägte Klarsichtigkeit über die Welt und deren Fehler, kleine Freuden und unheilbare Verletzungen auf. Die Geschichte wird konstant von einer zugleich witzigen und melancholischen Selbstironie untermalt. Die Seiltänzerin balanciert auf dem Seil, sie kommt in kleinen Kapiteln voran, fesselt uns bis zum Schluss und hinterlässt ein Lächeln auf unseren Lippen: Sie fällt nicht, und wir, wir fliegen davon.

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www.literaturpreise.ch

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Video

Textprobe(n)

Das Büro

Seit Schuljahresbeginn Ende August haben wir schon mehr als zwanzig Nachhilfestunden gehabt. Ein bedeutendes Vorhaben, von dessen Gelingen ich nicht überzeugt war. Wir hatten etwas vor, also brauchten wir die entsprechende Umgebung. Nach fünfzehn Jahren wirkt das Haus immer noch zusammengewürfelt, zwischen unfertig und nicht richtig angefangen. Nicht, dass ich diesen Zustand ändern wollte, aber für die Nachhilfestunden habe ich das kleine Zimmer oben möbliert und eingerichtet. Jetzt nennen der Junge und ich es das Büro, unser Büro. Ich habe einen Tisch, ein Regal und zwei Stühle hochgebracht. Über das Sofa habe ich die blaue Baumwolldecke mit dünnen dunkelroten Streifen gelegt. Ich habe die Kinderbücher sortiert, eine geflochtene Schilfmatte gekauft und die Uhr mit den Vogelstimmen an die Wand gehängt. Ich habe einen Globus gekauft, der als Lampe dient und die großen Entdeckungen der Seefahrer im 15. Jahrhundert nachzeichnet. Er verbreitet ein schönes blassgelbes Licht. Ich habe ein Wörterbuch und einen Atlas für junge Leser gekauft, außerdem vier Landkarten, die Welt, Europa, die Schweiz und den Kanton Genf, die ich an die Wände gehängt habe. Die Einkäufe waren rasch erledigt, ich habe sofort gefunden, was ich wollte. Neben die Karten habe ich ein Bild gepinnt, das Julia mit sechs oder sieben gemalt hat, ein großes Bild mit Wasserfarben, es zeigt einen kleinen Jungen in seinem Bett, der sich seine Straße, die Stadt, den Fluss, das Land, den Himmel, die Sterne vorstellt und dann in sein Bett zurückkehrt, wie ein Kern in sein Gehäuse. Die letzten Kleinigkeiten: Papier, Kugelschreiber und Buntstifte, Radiergummi, eine Lupe, ein Lineal. Es ist das Zimmer mit dem Südbalkon. Von einer Stelle auf dem Balkon hat man einen hübschen Blick auf den Petit Salève. Das war mir erst aufgefallen, als ich das Zimmer einrichtete. Die erste Stunde, ein Spätnachmittag bei schönem Wetter, verbrachten wir auf dem Balkon und vor den Landkarten damit, die gedruckten Himmelsrichtungen mit denen des Himmels zu verbinden. Flugzeuge zogen vorbei und ihre leuchtenden Spuren zeichneten Pfeile auf den Himmel wie auf ein riesiges Blatt Papier. Jede Stunde hat einen Pflichtteil, in dem wir die Aufgaben aus der Schule durchgehen. Das zweite Drittel setzt manchmal das erste fort, etwas lockerer, mit Varianten und Improvisationen, und als letzten Teil lese ich aus einem Buch vor, das ich als Kind sehr geliebt habe, Allein gegen die Angst. Arnaud fasst die gelesenen Seiten zusammen, wir schreiben die schwierigen Wörter auf, er sucht sie im Wörterbuch. Schon in der ersten Stunde, als ich mir zuhörte, wie ich vorlas und wie ich darauf achtete, gut zu artikulieren, dachte ich, es wäre schön, es wäre wunderbar, wenn wir im Unterricht immer nur üben würden, unsere Sätze zu formen, die Wörter auszusprechen, sie im Mund zu spüren, so dass sie unsere Gedanken ausdrücken und wiedergeben. Der Junge wird bald neun. Ich habe ihn gewarnt: Ich werde mit dir lernen, ich bin keine richtige Lehrerin, es gibt Milliarden Sachen, die ich nicht weiß. Als ich ihm zum ersten Mal gratuliert habe – mein begeisterter Ausruf, sein erstaunter Blick –, war es für mich genauso eine Belohnung wie für ihn. Meine alten Grammatikregeln gelten nicht mehr. Heute muss man bestimmte Satzteile mit dem Farbstift einkreisen, gelb, rot, grün, grau, blau, die Farben machen die Satzteile sichtbarer. Sichtbar werden die Teile tatsächlich, aber sie werden auch sehr zerstückelt. Die Sätze, die Arnaud und ich in seinem Heft "produzieren", sind vielfarbiges Kleingehacktes, das den Lauf, den Faden der Lektüre unterbricht. ("Produzieren" ist das Verb der neuen Lehrpläne.) Arnauds Heft sieht aus wie ein Comic: Gruppe Grün ist eine haarige Raupe, Gruppe Grau ein gewundener Tausendfüssler, Umstandsbestimmung eine Schlange, die kurze oder lange Tentakeln ausstreckt. Gruppe Subjekt ist eine gelbe Lok, die die anderen zieht oder schiebt. Ich habe Lehrbücher gekauft, darunter Die Grammatik lieben von Pierre Berounioux. Ich habe die Begabung meiner Mutter nicht geerbt. Sie liebte die Grammatik, auf Französisch, auf Latein, auf Deutsch, und liebte es, sie zu erklären. Sie war für die Grammatik ebenso begabt wie für Musik, Gesang, Klavier. Ich stelle sie mir neben uns im Büro vor, wie sie angesichts unserer bunten Texte die Stirn runzelt: "Was ist denn das! So ein Gekritzel! Wie Kraut und Rüben!" Sie würde die Buntstifte beiseiteschieben, einen Satz wählen, ihn auseinandernehmen und wieder zusammensetzen, und ich wette, dass die Grammatik Arnaud am Ende ebenso notwendig vorkommen würde wie das Spiel der Muskeln in seinem Körper. Meine Mutter hätte es nicht ertragen, dass der kleinste Zettel von ihrer Hand ein unpassendes Wort oder einen Fehler in der Syntax enthält, sie ärgerte sich, wenn ich stockend oder unklar sprach und Wörter durch Gesten ersetzte. Ihr Vertrauen in die Grammatik beruhte nicht nur auf der Ästhetik, sondern auf der Moral, dem Gerechtigkeitssinn, auf der Überzeugung, dass durch die Kenntnis der korrekten Sprache jedem die gleichen Chancen im Leben gegeben waren. Sie kam aus "einfachem" Milieu – die Sprache sollte ihr Adel, ihre Eleganz sein. Und dennoch hat sie den Kopf nie wirklich erhoben, meinem Vater hat sie nicht die Stirn geboten. Ich glaube sogar, dass ihre poetische Erhabenheit sie isolierte und sie angesichts der Grobheiten ihres Mannes in schmerzhafter Kälte erstarren ließ. Er übertrieb seine Vulgarität, weil sie mit der Überlegenheit ihrer französischen Sprache, die wie eine eisige Klinge in ihr steckte, auf ihn herabsah. Sie besaß so etwas wie einen Sinn für den Sinn, aber weil sie sich weigerte, ihre Pein je zu äußern, konnte sie ihn mir nicht übermitteln, konnte ich ihn nicht erfassen. Ihre Feinheit in Sprache und Denken – die Grammatik selbst – wandte sich gegen sie.

Der Bergmann und der Kanarienvogel
Roman / Novelle
ALS BUCH:
Hardcover

in Leinen gebunden

176 Seiten
Format: 125 x 204 mm
Auslieferung ab März 2015
D: 22,50 Euro A: 23,50 Euro CH: 25,00 CHF

ISBN (Print) 978-3-85869-643-4

Der Verlag im Netz:

Pressekontakt des Verlages:

Sarah Wendle
+41 (0)44 4054484
sarah.wendle(at)rotpunktverlag.ch

Vertriebskontakt des Verlages:

Thomas Heilmann
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thomas.heilmann(at)rotpunktverlag.ch