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Wahrheit oder Wagnis

Belletristik

Anja Manz

Wahrheit oder Wagnis

Der Roman ist aus der Sicht einer 14jährigen in den 60er Jahren geschrieben, einem Mädchen, das die Welt der Erwachsenen noch nicht ganz versteht, sie sich aber auch nicht mehr einfach bieten lässt: Sie will wissen, was die Mutter verrückt gemacht hat und warum die Oma immer noch auf den Sohn wartet, der aus dem Krieg nicht zurückgekehrt ist. Wie die Traumata des Krieges sich auch in dieser Generation noch auswirken, bis in die ersten Liebesversuche, beschreibt Anja Manz in der eindrücklichen Sprache und Denkweise dieses Mädchens, das versucht, die Vergangenheit, die die Erwachsenen nicht bewältigt haben, auf eigene Faust in Ordnung zu bringen.

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Verlagstexte

Nelly ist fast 15 Jahre alt, als sie sich in einem heißen Sommer Mitte der 70er Jahre verliebt – ja, sie will nicht weniger als das Geheimnis der Liebe entschlüsseln. Doch sie kann sich nicht entscheiden: Liebt sie den dominanten Karl oder doch eher seinen Geige-spielenden Freund Stephan? Aber Nelly ist auch das Mädchen, das um jeden Preis verhindern möchte, dass ihre durch Krieg und Flucht traumatisierte Mutter gänzlich den Halt verliert. Als Nelly in diesem Sommer der schönen Verwirrung ihre selbst gewählte Aufgabe vernachlässigt und bei der Mutter "alles durcheinandergerät", fällt sie eine folgenschwere Entscheidung: Sie macht sich auf die Suche nach ihrem in Russland verschollenen Onkel. Er soll nach Hause kommen und die Mutter endlich glücklich machen.

Bei den vom Krieg gezeichneten, gescheiterten Existenzen, die in den Baracken am Ortsrand leben, versucht sie, seine Spur aufzunehmen. An diesem unwirtlichen Ort erfährt sie selbst die Furcht der Mutter vor den "Männern, die wie Tiere sind". Anders als der Mutter gelingt es ihr jedoch, ihre Angst zu überwinden. Sie findet Unterstützung, taucht in die Geschichten dieser Männer ein, die keiner hören will. Von ihnen lernt sie, wie hoch der Preis der Wahrheit sein kann, zu der es doch keine Alternative gibt. Ganz nebenbei aber entschlüsselt sie es, das vielleicht größte Geheimnis ...

Und noch einmal trifft Nelly als längst erwachsene Frau auf die beiden Männer, die sie einst liebte. Sie besucht Karl, den ehemaligen Nachbarjungen, im leer stehenden Hause seiner Eltern, zu dem auch Stephan anreist. In diesem "Gehäuse" ihrer Vergangenheit blicken sie gemeinsam auf ihre Geschichte zurück. Als sie bei einer Bootstour zu dritt "Wahrheit oder Wagnis" spielen, erfahren Sie, dass dieser Sommer noch immer fortwirkt und erneut Gefühle zwischen ihnen entfacht ...

Downloads

© Cover: Verlag, Foto(s): privat

Textprobe(n)

Er löste seinen Griff so plötzlich, dass ich fast über einen Stein gestolpert wäre. Unbeirrt stapfte er davon, Blickrichtung stur geradeaus. Ich hatte Mühe, auf dem sandigen Boden hinterher zu kommen und dabei sein gepresstes Gemurmel zu verstehen:

"Ja, ich geb´s zu: Auch ich heule manchmal auf irgendeinem verdammten Hochsitz, aber ich gehe raus, ich tue was dagegen. Deswegen will ich Förster werden. Deswegen, weil es nichts Besseres gibt, als hier draußen zu sein, herum zu rennen, nichts Besseres, um den ganzen Mist zu vergessen."

Er stieg mit einem großen Schritt über einen Weidezaun: "Man darf sich nicht kleinkriegen lassen, verstehst du das, Nelly?" Dann drückte er den Draht für mich mit der Hand hinunter: "Von niemandem." Ich kletterte darüber, erwiderte dabei den Blick seiner funkelnden Augen.

Von welchem Mist redete er? "Vater, Mutter, Kind, denkst du. Alles in Ordnung. Karl Ehm, Mama Ehm. Papa Ehm. Das schöne Haus. Urlaub am Tegernsee. Alles schön!"

Vor uns erstreckte sich eine Wiese, in deren Mitte eine riesige Eiche stand. Er ging weiter, lief auf den großen Baum zu: "Ich weiß genau, was bei euch los ist. Ich weiß, wie's dir geht, glaub mir. Es ist schrecklich, ich weiß es. Es ist die Hölle." Er drehte sich abrupt um und starrte mich an: "Sie streiten den ganzen Tag, meine Eltern. Sie schreien sich nur an. Seit Jahren, wusstest du das?" Schimmerten seine Augen etwa feucht? "Manchmal tritt er sie sogar. Fest. Von hinten in den Rücken." Er drehte sich um und ging weiter. Ich lief schneller, ihm nach. "Er hat eine andere", murmelte er, "Sabine heißt sie". Ich überholte ihn. Wir waren beim Baum angekommen. Ich stellte mich vor ihn, mit dem Rücken zum Stamm. "Deshalb sind sie am Tegernsee. Mein Onkel ist Anwalt dort. Sie wollen jetzt alles regeln: Wo alles hinkommen soll: das Geld, die Couchgarnitur, der Scheiß-Mercedes, ich ..." Erschrocken streckte ich ihm eine Hand entgegen. Er kam auf mich zu, ignorierte sie, legte stattdessen seine großen Hände um meine Oberarme, presste mich fest an sich. Sein Körper, stark und breit, drängte sich an mich: sein Becken, Hüftknochen, das Harte zwischen seinen Beinen ... und die Rinde bohrte sich in meinen Rücken.

Seine Lippen fühlten sich anders an als sonst – nass, gespannt, kalt. Ich spürte seine Zähne, die Hand an meinem Kopf, seine Zunge, die versuchte, den Widerstand meiner Zähne zu brechen, vorzudringen ... Ich versuchte ihn abzuschütteln, gab unwillige Geräusche von mir, fühlte den Druck seiner Hände an meinen Armen, wand meinen Kopf hin und her, kämpfte mit dem Fleisch in meinem Mund. Dann von einem Moment auf den anderen ließ er von mir ab, trat einen Schritt zurück.

"Entschuldige", stammelte er. "Ich wollte doch nicht ..."

Er stolperte nach hinten: "Nelly, bitte!" Er blickte flehend, die Hände hinter seinem Rücken.

Ich lief auf das Feld, stapfte durch den Sand, rannte fast über den Acker und wusste doch, dass er mir nicht folgen würde. "Sie sind stärker. Männer sind immer stärker." Ich kroch unter dem Zaun hindurch, trampelte wütend die Brennnesseln im Feldrain hinunter, nicht achtend, ob sie durch meine dünnen Söckchen stachen. "Sie können mit Frauen machen, was sie wollen, selbst die dünnen, schmächtigen Kerle", hatte Oma gesagt. "Der Hass gibt ihnen Kraft." Oma und ihre Horrorerinnerungen.

Nein, ich würde nicht heulen. Ich ging voran, Hand am Oberarm. Karl auf dem Apfelbaum, Karls erster Kuss auf dem Hochsitz, seine Geschichten von den Rehen ... "Im Grunde hassen sie uns Frauen. Der Krieg bringt es nur ans Licht." Wassertropfen in seinen Wimpern, sein Lachen am Schwimmbeckenrand, seine ausgestreckte Hand. Karl doch nicht! "Rausgeschleppt haben sie die Mädchen, sogar Greisinnen, Kranke, Schwangere – solange sie nur ein Loch zwischen den Beinen hatten." Was gingen mich Omas Geschichten an? Gruselmärchen. Alte Zeiten. Heute war alles anders, Karl war anders. Ich zog die Nase hoch, rannte jetzt, nicht zurückschauend auf Karl, der da bestimmt noch herumstand, mir nachstarrte. Ich wollte nur noch fort sein, eingesogen, verschluckt, verwandelt, weggebracht in eine fremde Galaxie, auf einen weißen, sanften Planeten, der mich aufnehmen würde wie ein großes, weiches Federbett. Ich umrundete eine verrostete Egge, kletterte über einen Haufen Autoreifen, dort vorne war es schon, das Wäldchen, in dem ich verschwinden konnte.

"Nimm dich in Acht mit deinen kurzen Röcken, deiner Offenherzigkeit." In meinen Ohren dröhnten Omas Worte: "Wenn man das Tier im Mann loslässt, gnade dir Gott ..."

Ich lief los, weiter über die Schafsweide. Die Augen gesenkt sprang ich über Maulwurfshügel, über federnden Grasboden. War es sein Blick, der so brannte in meinem Rücken, als hätte er jetzt noch das Recht mir nachzuglotzen, meinen dicken Waden, der doofen Mädchenart zu rennen, dass der Busen hüpfte. Warum hörte dieser Lärm nicht auf in meinem Kopf? "Geschrieen hat sie, die Frau Heber, ununterbrochen geschrieen wie am Spieß, als wir sie reingeschleppt hatten auf ein Feldbett ... und ich hab deiner Mutter die Hände auf die Ohren gepresst."

Nadelwald, der Boden trocken und weich, voller rötlicher Kiefernnadeln. Nicht denken, nicht mehr das Geschrei hören, immer zwischen den Bäumen hindurch, Lärm aus fernen Zeiten, der mich nichts anging. Ich war im Wald, alleine, ich lauschte dem Knacken der Stöckchen unter meinen Sohlen. Im Schattenblau tanzten Lichtflecken. Ich hörte mein Atmen, das Keuchen, spürte ein Stechen in der Leiste, den dumpfen Schmerz dort, wo seine Daumen sich eingedrückt hatten, und immer hätte ich so weiter rennen wollen. Die Hand in der Seite lief ich einen Hang hinauf, doch die Puste ging mir aus. Japsend stützte ich mich schließlich an einer Kiefer ab. Den Kopf an der Rinde, atmete ich tief ein: Harzduft; Kindheits-, Onkel-Gerhards-, Freiheitsgeruch.

Ich drehte mich um, starrte in den Wald. Schmale, rötliche Stämme wiegten sich im leichten Wind. Keine Spur von Karl. Natürlich. Ich rutschte, Rücken am Stamm, auf die Erde hinab, saß mit angezogenen Knien. Irgendwo gurrten Tauben.

"Die Märchen lügen!"

Das hatte Mama vor ein paar Monaten plötzlich in der Waschküche gesagt, und sie hatte dabei merkwürdig geklungen. Sie hatte beim Bügeln inne gehalten und mich angesehen, als ob sie mir Entscheidendes mitteilen müsse: "Ihretwegen denken wir immer, der Wald sei die Gefahr, der Ort, an dem die böse Hexe auf uns wartet – Kobolde, böse Geister – dabei ist es umgekehrt. Die Menschen sind es, die nicht gut sind. Du wirst es erleben."

Dann suchte sie meinen Blick, fixierte mich mit ihren leicht geröteten Augen: "Merke dir eines: Was auch immer geschieht, der Wald ist dein Freund!" Sie hatte das Tuch in den Korb gelegt, ehe sie weiter sprach: "Er hat uns das Leben gerettet, immer wieder. Wenn die Russen uns gesucht haben: 'Frau! Frau, komm Frau!' – dann waren wir längst im Wald. In Sicherheit. Verstehst du?" Und glättend war ihre Hand über eine Tischdecke gefahren: "Du wirst nicht gesehen. Das Laub, Äste, warme Erde – du findest etwas, um dich gegen die schlimmste Kälte zu schützen." Sie stockte: "Nur der Winter. Dieser schreckliche Winter, der Schnee." Sie stand wie erstarrt, die Decke fest an die Brust gepresst. Ihr Blick wurde glasig.

"Mama", sagte ich vorsichtig. Sie rührte sich nicht. Ich ging auf sie zu, berührte ihren Arm, versuchte behutsam, ihr das Tuch abzunehmen. Überrascht blickte sie auf. Dann nickte sie wie aus einer Trance erwachend: "Der Wald … es ist immer genug da, um nicht zu verhungern: Beeren, Pilze, selbst Rinde oder Insekten betäuben den Hunger. Nur deine Angst vor der Dunkelheit musst du besiegen, aber, glaub mir, irgendwann begreift man es: sie ist schön, die Dunkelheit." Und ein Lächeln glitt über ihr Gesicht: "Dunkelheit schützt vor so vielem."

 

Ich ließ mich tiefer in das warme Nadelbett gleiten, bis ich auf dem Rücken lag; über mir zogen Stare, ein großer Schwarm. Ich zählte bis zweiundsiebzig, bis nichts mehr war als Blau. Sie kannten ihr Ziel.

Das feine Pieksen auf der Haut war fast schön. Ich rollte mich ein, schob beide Hände zwischen meine Schenkel, schloss die Augen. Ein einzelner Sonnenstrahl brannte auf meinen unteren Rücken. Und ein leises Rauschen fuhr durch meinen Kopf und nahm alle Gedanken mit fort.

Wahrheit oder Wagnis
Roman / Novelle
ALS BUCH:
Softcover
248 Seiten
Format: 140 x 220 mm
Auslieferung: ab 25. September 2015
D: 16,90 Euro A: 16,90 Euro CH: 17,90 CHF

ISBN (Print): 978-3-943446-21-0

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